Now

Now

01. Sometimes (Stop To Call)
02. 1995
03. The Beauty
04. Letter To Myself
05. All About Us
06. Now
07. Good Luck On Your Way
08. Replay
09. Sorry
10. This Will Never Replace Rock `n`Roll
11. Not The Time To Live A Lie
12. Walk On

Es hat einen erstaunlichen Effekt, wenn man dieser Tage in seinem Freundeskreis erzählt, dass man sich gerade journalistisch mit Fury In The Slaughterhouse befasst. Regisseurinnen von arschcoolen DIY-Punk-Dokus bekommen plötzlich strahlende Augen und erinnern sich, wie sie damals mit Freundinnen zu den Konzerten reisten und dann gemeinsam übergangslos von der Fury- in die Oasis-Phase hinüberglitten. Gestandene Musikjournalistinnen, die schon alles und jeden gesehen und gesprochen haben, schreiben mit glühenden Worten, dass Fury es sogar geschafft haben, ein Corona-bedingtes Auto-Konzert in Hannover zu einer emotionalen Veranstaltung werden zu lassen. Und dann wäre da natürlich noch dieser recht bekannte Songwriter und Autor namens Thees Uhlmann, der im letzten Jahr die Hymne auf Hannover sang, die diese Stadt schon lange verdient hat. „Du hattest einen Plan vom Leben / Ich hatte Fury in the Slaughterhouse“, singt er da und schafft das, was er in seinen Texten immer schafft: Er zielt direkt aufs Tor, verreißt, trifft den Eckpfosten, der Ball springt ab, auf das Knie des Schiedsrichters – und von da voll in den Winkel. In einem anderen Text zu diesem neuen Album namens „NOW“ – dem ersten von Fury in the Slaughterhouse seit gut 13 Jahren – wiederholt Uhlmann den Trick noch einmal und schreibt euphorisch: „Scheiß der Hund drauf. Ich leg mich fest. U2 aus Niedersachsen – aber zum Anfassen.“

So wird es vielen gehen, wenn bald der erste neue Song „Sometimes (Stop to Call)“ zu hören ist. Man hält einen Moment inne – und denkt sich: „Verdammt! Das sind Fury in the Slaughterhouse!“ Was dann auch im wahren Wortsinn stimmt, denn tatsächlich ist gerade die Stamm-Besetzung im Studio, also Kai Wingenfelder (Sänger), Thorsten Wingenfelder (Gitarre), Christof Stein-Schneider (ebenfalls Gitarre), Rainer Schumann (Schlagzeug), Gero Drnek (Keyboard, Gitarre und auch mal die Mandoline) und Christian Decker (Bass). Aber irgendwie fragt man sich auch: Wie stehe ich eigentlich zu Fury? Galt es als junger Metaller aus Nordniedersachsen damals nicht als uncool, die zu mögen? Und hat man sie nicht trotzdem ständig gehört? Und hey, spielten Fury nicht letztes Jahr sogar auf dem Wacken vor vollen Reihen (als „Die beschissenen 6“)? Und hat man sich nicht letztens erst wieder erwischt, wie man an einem trüben Corona-Morgen zuhause die Werkschau „30“ hörte und dachte: „Fuck, ‚Radio Orchid‘ ist verdammt gut gealtert!“ Gleiches lässt sich über „Down There“, „Brilliant Thieves“ und „When I’m Dead And Gone“ sagen. Eine Erkenntnis, die übrigens auch Fury selbst nicht verborgen bleibt. Gitarrist Christof Stein-Schneider sagte im Zoom-Interview ganz treffend und mit Hannoveraner Understatement in der Stimme: „Es ist ja teilweise erschreckend, was Kai für Texte geschrieben hat. ‚Every Generation Got It’s Own Disease‘ oder ‚Time To Wonder‘ sind heute aktueller denn je.“ Recht hat er. Und trotzdem sind diese warmen Erinnerungen schnell vorbei, wenn man die besagte neue Fury-Single hört: Diese ist nämlich ein wundervoller Arschtritt in die bloße Nostalgie. Spätestens wenn diese mitreißenden, sehr eigentümlichen Fury-Gitarrenschleifen, die „Sometimes (Stop to Call)“ direkt ins Herz graben, zum Refrain abheben, Kai Wingenfelders Stimme antreiben und die gesamte Band einen mitten ins „NOW“ holt, fragt man sich: Was ist da los, dass sich Fury In The Slaughterhouse ausgerechnet 2020 wieder ins Rennen werfen? Natürlich haben sie seit ihrem offiziellen Ende 2008 die Füße nie ganz stillhalten können und sich immer wieder für beeindruckende Konzerte wie beim „Klassentreffen“ in Hannover zusammengefunden, aber trotzdem: Warum jetzt ein Album und vorher nicht?

Vielleicht weil eine Band, die so ziemlich alles durchgemacht hat, was in 30 Jahre Bandgeschichte hineinpasst, nicht einfach aufhören kann. Kai Wingenfelder erklärt es so: „Wir kennen uns teilweise seit unserer Jugend, wir sind zusammen durch Amerika getourt, haben Millionen Alben verkauft – das schmeißt du nicht einfach so weg. Deshalb haben wir ja immer wieder mal gespielt bei besonderen Anlässen. Richtig gefunkt hat es dann, als wir 2017 noch mal die ‚Klassentreffen‘-Konzerte gespielt haben.“ Diesen Funken spürt man auch, wenn man die Band heute darauf anspricht. Christof Stein-Schneider dazu: „Oft merkt man ja erst, was Dinge wert sind, wenn man sie nicht mehr hat. Wir waren seit über zehn Jahren nicht mehr im Studio, unter anderem auch, weil wir dort zu oft aneinandergerieten. Das hat sich gelegt. Wir haben alle zehn Jahre lang mehr Musikmachen auf dem Buckel, und das eben nicht als Fury-Mitglied, sondern in eigener Regie. Da lernt man doch eine Menge.“ Schlagzeuger Rainer Schumann pflichtet dem bei: „Ja, darin sind wir viel besser geworden. Das macht richtig Freude gerade und ist ein sehr kreatives, entspanntes Arbeiten. Für mich war so ein Schlüsselmoment, als Christof einmal meinte, als wir einen besonders guten Lauf hatten: ‚Äh, worum ging es bei unserem Streit damals eigentlich noch mal?‘ Das sagt doch alles, wenn einem der Grund nicht mehr so recht einfallen will.“

Einen Punkt darf man dabei aber nicht vergessen: Fury In The Slaughterhouse sind auch nie so recht der Zuneigung ihrer Fans entkommen. Wer die „Klassentreffen“ live erlebt hat oder sich den Konzertfilm „Farewell & Goodbye“ aus dem Jahr 2008 nochmal anschaut, sieht da haufenweise selige Gesichter diverser Altersklassen. Das sind Fans, für die diese Musik der Soundtrack einer bestimmten Zeit ist. Und genau das ist und bleibt Fury: Die eigentlich logische Konsequenz und das Ergebnis einer Zeit. Thorsten Wingenfelder gibt zu, dass ihn das immer noch sehr bewegt: „Unsere Shows waren immer stark von den Reaktionen des Publikums geprägt und die waren in den letzten Jahren sehr besonders. Wir waren wohl wirklich ein Soundtrack zum Leben für Menschen einer bestimmten Zeit, in der man Bands noch anders liebte – was ich gar nicht wertend meine. Viele tragen das in ihre Familien weiter und bringen dann einfach mal die Tochter mit.“ Das meint auch Rainer Schumann: „Dieser Blick von der Bühne ins Publikum war ausschlaggebend für mich – du guckst da in die Augen von Leuten und siehst: Shit, denen ist das richtig wichtig.‘“

Das so passend „NOW“ betitelte Album ist zum Zeitpunkt des Gesprächs noch nicht ganz fertig. Abgabe ist Ende des Jahres, der Release im Frühjahr 2021. Aber die ersten Songs knallen – und öffnen munter gleich ein halbes Dutzend Genre-Schubladen. Neben dem wuchtigen Song über Abschied und Verlust „Sometimes (Stop to Call)“ gibt es da zum Beispiel den „International Love Song“, der genau das sein könnte und lyrisch ein wenig Hippie-Spirit in den Fury-Sound bringt. „Time To Live A Lie“ wiederum beginnt mit einem tollen Pianopart und mit Kais Gesang wird er zu einem Coldplay-Song, wie ihn Coldplay in den letzten Jahren nicht mehr hinbekommen haben. „Now“ wiederum versprüht Anfangs tatsächlich Gorillaz-Vibes, wird kurz folkig-fluffig im besten Sinne und klingt dann im Refrain nach guter UK-Indie-Schule. Alle Referenzen muss man sich dabei natürlich trotzdem mit dem „typischen“ Fury-Sound denken – immerhin sind sie eine der ganz wenigen deutschen Bands, die so was haben. Warum das so ist? Kai meint: „Das kommt einfach raus, wenn wir sechs im Studio sind. Ich singe, wie ich singe. Die Jungs haben diesen eigenen Gitarrensound, den sie sich damals von ihren großen internationalen Vorbildern abgeschaut und dann weiterentwickelt haben und der Rest kommt von allein.“ Und wie würden sie selbst diesen Sound beschreiben, der ja immerhin von einer Band aus Hannover – of all places! – von Anfang an international klang und sie mit „Mono“ gar mal in die Top 15 der US-Billboard-Charts brachte? Thorsten lacht und sagt: „In einer Hamburger Zeitung gab es damals mal so eine tolle Anzeige: ‚Schlagzeuger für Band gesucht. Einflüsse: R.E.M., U2, Fury In The Slaughterhouse.‘ Diese Anekdote passt immer noch am besten.“ Rainer meint, wieder mit diesem Understatement der Hannoveraner: „Wir haben uns nur die ganz großen als Vorbilder genommen: Wir wollten damals U2 und die Stones gleichzeitig sein – das haben wir nicht hinbekommen, aber dafür kam der Fury-Sound raus. Auch ganz geil.“ Christof betont an dieser Stelle auch noch eine Tatsache, die man schnell vergisst oder als hipper, zugezogener Hauptstädter nicht hören will: „Hannover war immer eine sehr internationale Stadt. Nicht nur durch die historische Verbindung zu England. Hier haben auch all die großen Bands damals gespielt: Nirvana waren im Club „Bad“, im „Jugendzentrum Kornstraße“ die Dead Kennedys und Black Flag. Es war eine gute Stadt, um sich als Band zu finden.“

Aber trotzdem klingt genau dieser Fury-Sound heute frischer und wuchtiger denn je. Woran das liegt? Unter anderem an einem eher ungewöhnlichen Produzenten: Vincent Sorg. Der produzierte zum Beispiel das Demo-Tape mit dem die Donots ihren ersten Plattenvertrag bekamen, Erfolgsalben von In Extremo und den Broilers – und sogar Die Toten Hosen. „Unser Management hat uns bekannt gemacht“, erzählt Kai. „Christof und ich sind dann mal hingefahren. Wir waren uns gleich sympathisch. Vincent war fast ein wenig nervös und hatte sich schon viele Gedanken gemacht, was er mit uns erreichen wollte. Aber ich glaube, wir haben ihn auch überrascht.“ Thorsten ergänzt: „Zwischen uns gibt es gerade so eine Magie, die nur entstehen kann, wenn das Ziel eben mehr ist, als bloß das Album zur Abgabe zu bringen. Deshalb haben wir gerade diese einmalige Aufbruchsstimmung – und das ausgerechnet im Studio!“ Christof würde das genauso unterschreiben: „Uns war von Anfang an klar: Wir brauchen einen Produzenten, der lauthals mitmischt – und das macht Vincent.“ Rainer ergänzt: „Vincent hat einen super Humor, ist fachlich wahnsinnig kompetent und nimmt uns als Band komplett mit.“ Und Thorsten ist noch heute überrascht, „wie viel Freude Vincent an Popmusik hat, dafür dass er so viel Zeit mit Rockern, Punks und Metalbands verbringt.“

Während im Studio der „Neue“ frischen Wind brachte, haben sich Fury an anderer Stelle für „NOW“ mit alten Weggefährten umgeben: Die Pressefotos stammen vom hochgeschätzten Fotograf Olaf Heine, der schon damals zu „Mono“ – noch als Assistent von Jim Rakete – die Booklet- und Backcover-Fotografie übernahm. Für das besondere Cover-Artwork ist Dirk Rudolph zuständig, der schon Mitte der Neunziger mit Fury arbeitete und unter anderem legendäre Cover für Rammstein, Die Toten Hosen und Element of Crime gestaltete. „Uns gefiel die Stimmung dieses Bildes: Der Boxer zeigt keine harte, brutale ‚Auf’s Maul!‘-Pose, sondern eher so ein Tänzeln, als wolle er sagen: ‚Komm doch!‘“ Rainer meinte: „Das passt doch auch ganz gut zu unserer Situation: Wir bringen uns ja auch ein wenig in diese Pose, wenn wir uns jetzt wieder ins Spiel bringen.“ Und im Spiel waren sie damals durchaus. Wobei sie seltsamerweise immer ein wenig der Underdog waren, nie einen Nummer-Eins-Hit hatten und auch beim Echo immer übergangen wurden, „weil Pur mal wieder ein neues Album hatten“, wie Kai grinsend sagt. International aber und auf Langstrecke betrachtet, haben sie eben „ein paar Millionen Alben verkauft, über die weder wir noch die Presse jemals groß geredet hätten.“

Thorsten Wingenfelder sieht im Titelmotiv des Boxers auch einen Bezug zur seltsamen Jetztzeit und der politischen Haltung der Band: „Ich finde, wir leben in einer Zeit, in der man auch so eine Haltung einnehmen muss. Die verbalen Angriffe auf wichtige Errungenschaften wie Freiheit und Demokratie werden immer hysterischer und aggressiver.“ Das sagt auch Christoph: „Wir können uns nicht verstecken. Das kann sich gerade keiner erlauben, dem unsere Demokratie am Herzen liegt. Wir müssen sehen, wo wir stehen. Wo wir bereit sind, uns einzusetzen. Nur so kann man die Zukunft positiv gestalten, gerade in dieser seltsamen Zeit einer Pandemie.“

Trotzdem hoffen Fury natürlich, dass es bald mal eine wie auch immer geartete Entspannung der Pandemie-Gefahr geben könnte und ein annähernd normales Konzert- und Festivalleben. „Dieses Bedürfnis, gemeinsam Live-Musik zu erleben“, meint Kai, „ist gerade jetzt stärker denn je, glaube ich. Und das geht auch nicht weg. Deshalb kann ich jetzt schon sagen: Wenn unser Album nächstes Jahr draußen ist und Konzerte wieder sicher sind: Dann sind wir ganz vorne mit dabei.“

Daniel Koch

(Musikjournalist – schrieb seine ersten gedruckten Texte über Musik in Hannover beim Stadtkind Magazin)